Die erste uns bekannte Autobiografie entstand 400 n. Chr. Es handelt sich um die „Confessiones“ – die „Bekenntnisse“ – des Augustinus. Im Zentrum seiner Autobiografie stehen die Phasen der geistigen und christlichen Entwicklung des Autors. Das Werk behandelt Fragen des Glaubens und vermittelt theologische Einsichten. Augustinus bedient sich hierbei eines besonderen Kunstgriffes: Er führt Gespräche mit Gott, führt also eine vermittelnde Instanz ein, die sich zwischen das erzählende Ich und den Leser stellt.
Neben den konfessionellen Betrachtungen vermittelt Augustinus auf diese Weise Einblick in die Tiefe des menschlichen Seelenlebens.
Jean Jacques Rousseau nahm sich diese Autobiografie zum Vorbild und schuf mit seiner Lebensbeichte von 1782, die er ebenfalls „Bekenntnisse“ nannte, den Prototyp der modernen intellektuellen Autobiografie. Während die Bekenntnisse des Augustinus religiöser Natur sind, legt Rousseau den Schwerpunkt seiner schonungslosen Lebensbeichte auf die radikale Subjektivität, auf Gefühl und Empfindung. Er nimmt damit die Themen der wenig später einsetzenden Romantik vorweg. Einen interessanten Aspekt zur Autobiografie Rousseaus äußert Rüdiger Safranski in einem Interview des Magazins Cicero. Er bemerkt, dass sich unter dem Deckmantel der totalen Offenheit auch Dinge bestens verhüllen lassen:
„[…] Jean-Jacques Rousseau beispielsweise wollte sein Publikum mit dem Geständnis provozieren, seine fünf Kinder ins Waisenhaus gebracht zu haben. Was als Beispiel für totale Offenheit dienen sollte, hatte im konkreten Fall aber eine verdeckende Funktion. Tatsächlich ging es Rousseau um den für ihn viel schlimmeren Verdacht, man könne ihn für impotent halten. Aber er hat doch fünf Kinder gezeugt! Da wird also ein Geständnis gemacht, um damit wiederum etwas anderes, viel Kränkenderes zu verhüllen.“ (1)
Typisch für das Genre der Autobiografie ist die kontinuierliche Darstellung des gesamten Lebenszusammenhangs. Die schriftliche Erzählung des eigenen Lebens beginnt mit der Geburt und endet zum Zeitpunkt der Niederschrift. Sie schreitet chronologisch voran und beinhaltet den gesamten Lebensweg. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht das wahre – subjektiv wahre – Erleben des „Ich“ und/oder die emotionale, intellektuelle oder kreative Entwicklung der eigenen Person. Da diese Entwicklung nie isoliert, sondern immer im Kontext der jeweiligen Umstände, des Zeitgeschehens und im Zusammenspiel mit den für diese Entwicklung wichtigen Menschen stattfindet, wirft die Schilderung des eigenen Lebens immer auch ein Schlaglicht auf die gesellschaftlichen und historischen äußeren Zusammenhänge innerhalb derer das persönliche Leben spielt und sich entwickelt.
In der Definition von Enno Frandsen wird dies besonders deutlich:
„Eine Autobiografie ist […] Rekonstruktion des Ablaufs eines Lebens bzw. eines Lebensabschnitts in den Bedingungen und Umständen, unter denen es gelebt wurde. Sein Interessenmittelpunkt ist das Ich, nicht die Außenwelt, obwohl notwendigerweise die Außenwelt erscheinen muss, so dass im Widerstreit von Geben und Nehmen die Persönlichkeit ihre besondere Gestalt gewinnt. [...] Autobiografie (ist) Formung der Vergangenheit. Sie legt einem Leben ein Muster (‚pattern’) unter, konstruiert aus ihm eine [zusammenhängende] Geschichte. Sie gliedert ein Leben in bestimmte Stationen, verbindet sie miteinander und stellt, stillschweigend oder ausdrücklich, eine bestimmte Konsequenz in der Beziehung zwischen Ich und Umwelt fest...“ (2)
Die Form der klassischen Autobiografie bietet großen gestalterischen Freiraum. Sie können darin über alles schreiben, was Sie erinnern und persönlich für wichtig halten.
(1) Quelle: Rüdiger Safranski:„Das Ich ist ein Labyrinth!“ aus Cicero, 12/2000
zitiert nach http://www.cicero.de/
(2) Enno Frandsen: Das ist mein Leben, zitiert aus dem Fernlehrgang „Große Schule des Schreibens“, Studienheft 12, S. 33