Wie bei einem Roman, kommt es auch bei Ihrer Autobiografie darauf an, dass Sie zunächst recherchieren und möglichst viel Stoff sammeln. Aber im Unterschied zur fiktionalen Literatur, bei der Sie die uneingeschränkte Lizenz zum freien Erfinden haben, ist der Stoff für Ihre Autobiografie Ihr wahres Leben. Ihre Erinnerung ist die wichtigste Quelle, aus der Sie Ihren Stoff schöpfen. Aber ist die Erinnerung nicht in Wahrheit ein trügerischer Geselle? Wie sehr können Sie sich darauf verlassen, dass Ihre Erinnerungen den Tatsachen tatsächlich entsprechen? Vielleicht haben Sie auch das Gefühl, dass Sie sich an nicht besonders viel erinnern?
Es liegt in der Natur unserer Erinnerungen, dass diese allmählich verblassen oder in Bruchstücke zerfallen. Manche Erinnerungen scheinen sogar komplett ausgelöscht zu sein. Das wird offensichtlich, wenn Freunde z. B. über ein gemeinsames Erlebnis lebendig in allen Einzelheiten erzählen. Sie selbst sitzen dabei und haben keinen blassen Schimmer mehr davon. Ihr Gedächtnis kommt Ihnen so löcherig wie ein Schweizer Käse vor. – Keine Angst, Sie leiden nicht an Gedächtnisschwund. Unser autobiografisches Gedächtnis funktioniert nämlich – entgegen aller früheren Annahmen – nicht wie ein Computer, der sämtliche Eingaben 1:1 speichert und diese auf Abruf unverändert wiedergibt.
Längst hat die Forschung herausgefunden, dass das Gedächtnis sehr selektiv arbeitet. Damit ein Erlebnis überhaupt als Erinnerung abgelegt werden kann, muss es in irgendeiner Weise als bedeutsam eingestuft werden, es muss mit Gefühlen verknüpft werden. Sämtliche Eindrücke gelangen zunächst ins limbische System und werden dort nach ihrem emotionalen Gehalt bewertet. Nur wenn ein Eindruck als bedeutsam angesehen wird, erreicht dieser die Großhirnrinde und wird dort als Erinnerungsbild – als Engramm – abgelegt. Die emotionale Bewertung ist auch der Grund, warum wichtige Ereignisse häufig verzerrt wiedergegeben werden. Schließlich kann uns unser Erinnerungsvermögen sogar noch mit völlig falschen Erinnerungen foppen: Allein die Erzählung eines Kindheitserlebnisses kann lebhafteste Erinnerungen daran hervorrufen, ohne dass dieses Ereignis je stattgefunden haben muss. Das heißt: wir erinnern uns bisweilen sogar an Erlebnisse, die wir nie erlebt haben.
Wie soll also ein von Natur aus höchst fadenscheiniges und trügerisches Erinnerungsvermögen uns den Stoff für eine Autobiografie liefern, in der es doch um unser echtes, wahres Leben geht?
Tatsache ist: Es gibt keine objektive Erinnerung. Und trotzdem können und sollen Sie sich in Ihrer Autobiografie an die Wahrheit halten. Wahrheit meint hier aber nicht die nackte chronologische Auflistung von Fakten und objektiven Tatsachen. (Wer würde das lesen wollen?). Wahrheit meint die ehrliche Schilderung Ihres subjektiven Erlebens, so wie Sie es erinnern. Wenn Sie Ihre Autobiografie schreiben, verpflichten Sie sich, Ihrer subjektiven Erinnerung treu zu bleiben und diese nicht bewusst zu verfälschen.