biografie schreiben

„Ich bin so etwas wie eine Übersetzerin …“

Schule des Schreibens: Frau Sailer, schön, dass Sie bereit sind, mit mir über den Beruf des Biografen zu sprechen. Sie schreiben Biografien – also die Lebensgeschichte anderer Menschen. Was treibt Sie an? Ist es Neugier? Leidenschaft? Das Interesse am Leben der Anderen?

E.M. Sailer: Es klingt vielleicht romantisch oder kitschig, aber ich verspüre eine große Leidenschaft bei der Vorstellung, wie wertvolle – aber durchaus auch leise – Lebenserinnerungen eines Menschen durch meine Arbeit Gestalt annehmen, ja fassbar werden. Ich denke, das hat viel mit meiner Persönlichkeit zu tun, aber auch mit meiner Lust am Schreiben und Gestalten.

Schule des Schreibens: Es gibt ja viele verschiedene Formen von Biografien. Von der klassischen Autobiografie, die eine Rückschau auf das gesamte Leben ist, über die Lebenserinnerungen, die nur ausgewählte Ereignisse des Lebens beinhalten, bis hin zu anlassbezogenen biografischen Werken – also das Fotobuch zur goldenen Hochzeit oder die Firmenchronik zum 100-jährigen Bestehen. Welche Art der Biografiearbeit bieten Sie an?

E.M. Sailer: Mein Spezialgebiet sind Biografien, die ausgewählte Ereignisse in Wort und Bild, aber auch illustriert und grafisch gestaltet widerspiegeln. Das lässt sich auch wunderbar bei anlassbezogenen Werken umsetzen.

Schule des Schreibens: Ohne Stoff keine Geschichte. Ganz gleich, ob Menschen ihre Lebensgeschichte selbst schreiben oder von Ihnen schreiben lassen, die Recherche – in diesem Fall die Erinnerungsarbeit – macht ja einen sehr großen Teil der Arbeit aus. Wie kommen Sie als Biografin an Ihren Stoff?

E.M. Sailer: Sammeln heißt hier die Devise: Fotos, Notizen, Briefe, Tagebücher – alles, was der Protagonist bereit ist preiszugeben. Dazu kommt natürlich das klassische Interview, das auf Band aufgenommen wird.

Schule des Schreibens: Wenn Menschen ihr Leben erzählen, entsteht ein sehr naher und intensiver Kontakt zwischen Biograf und Kunde. Ist das nicht ein emotionales Minenfeld, das Sie da immer wieder betreten?

E.M. Sailer: Ja, es ist eine große Nähe, die da zwischen uns entsteht. Dennoch bleibe ich immer respektvoll auf Distanz und vermittle meinem Gegenüber, dass immer er/sie es ist, der/die entscheidet, wie weit wir gehen, wie viel an Emotion später auch festgehalten wird. Der Rest bleibt unter uns und unser Geheimnis. Wichtig ist, dass mein Kunde weiß, dass er/sie mir da hundertprozentig vertrauen kann. Ich selbst verspüre bei der Arbeit oft große Gefühle: Mitgefühl, Wut, Sorgen, schlimme Erinnerungen – all das überträgt sich ja auch auf mich. Bisher ist es mir allerdings immer gut gelungen, auch dank meines gesunden privaten Umfeldes, diese Gefühle wieder dort zu lassen wo sie hin gehören – nämlich bei meinem Kunden.

Schule des Schreibens: Ist man als Biografin eigentlich eher Schriftstellerin oder Therapeutin?

E.M. Sailer: Ich selbst bezeichne mich nicht als Schriftstellerin. Diesen Anspruch habe ich nicht an meine Arbeit, und meine Kunden auch nicht. Das Schreiben einer Biografie hat für mich weniger einen künstlerischen Aspekt, als einen handwerklichen. Sein „Schreibhandwerk“ sollte man allerdings sehr gut beherrschen. In manchen Situationen gleitet man während der Biografiearbeit tatsächlich ins Therapeutische ab, das kann vom Kunden ausgehen oder auch mir selbst passieren. Wenn das geschieht, spreche ich das deutlich an und grenze mich wieder ab. Ich bin keine Therapeutin und ich will und darf mir auch nicht anmaßen, therapeutisch tätig zu werden. Ich bin so etwas wie eine Übersetzerin: Ich übersetze gelebtes Leben in ein anderes Medium, in schriftliche Formulierungen und optische Darstellungen.

Schule des Schreibens: Ein autobiografischer Text soll ja so aussehen, als habe der Betreffende seine Lebensgeschichte selbst verfasst. Wie finden Sie den richtigen Ton, die richtige Sprache, den jeweils persönlichen Stil, der ja nicht der Ihre ist?

E.M. Sailer: Das ist der schwierigste Teil meiner Autorenarbeit. Ich transkribiere zunächst das Erzählte und übertrage Schriftstücke. Diese Arbeit ist sehr intensiv und dabei sauge ich, wie ein Schwamm – so nenne ich das immer – den Stil meines Kunden auf. Beim eigentlichen Formulieren kommt dann noch mein – davon inspirierter – Schreibstil hinzu. Das kann ich ganz gut, weil ich lange Jahre als Werbetexterin gearbeitet habe und so gelernt habe, immer den Ton zu treffen – egal ob es um Mode oder Segelboote ging. Ich sorge für einen guten Lesefluss, bringe Dramatik in den Text, verändere auch oft die Reihenfolge. Beim Erzählen geht es manchmal drunter und drüber – da greife ich meist nicht ein. Ich verwende möglichst „typische Redewendungen“, damit der Text weitgehend authentisch bleibt. Aber ich formuliere auch komplett selbst, vor allem wenn es um Überleitungen geht.

Schule des Schreibens: Fällt es schwer, sich von dem Leben, das Sie jeweils gerade in Arbeit haben, zu distanzieren? Haben Sie Techniken und Tricks?

E.M. Sailer: Gott sei Dank brauche ich keine Tricks. Ich kann das einfach gut. Ich glaube, das ist auch eine der wichtigsten Voraussetzungen für diese Aufgabe. Sonst könnte ich das nicht machen. Aber ich habe überhaupt die Fähigkeit, mich gut abzugrenzen. Das hat mich das Leben gelehrt.

Schule des Schreibens: Als Biografin gießen Sie das Leben fremder Menschen in eine bestimmte Gestalt und Form. Indem Sie das tun, stiften Sie gleichzeitig Sinn. Ich meine damit: Sie besitzen eine gewisse Deutungshoheit über das Leben der Anderen. Ist Ihnen diese Macht eigentlich immer bewusst – und wie geht man damit verantwortungsvoll um?

E.M. Sailer: Ja, ich bin mir dessen bewusst. Sie müssen aber auch wissen, dass auch die Kunden deuten, und das ist ja ihr gutes Recht, denn schließlich handelt sich um ihr Leben. Nicht alles, was erzählt wird, steht später genau so in der Biografie. Darüber wird meist auch gesprochen, manchmal aber auch diskret geschwiegen. In jedem Fall aber ist und muss es immer der Kunde sein, der die letzte Deutungshoheit über sein Leben besitzt.

Schule des Schreibens: Welche Eigenschaften und Kompetenzen muss man haben, wenn man seine Arbeit als Biograf/in gut machen möchte?

E.M. Sailer: Die wichtigsten Eigenschaften, die man mitbringen muss, sind meiner Meinung nach Empathie, Respekt, gut zuhören können – und sich selbst zurück nehmen können. An Kompetenzen braucht man einen guten Schreibstil, Organisationsgeschick und Erfahrung in Sachen Druck und Verarbeitung.

Schule des Schreibens: Und welche Eigenschaften muss man besitzen, um als freiberuflicher Biograf von seiner Dienstleistung leben zu können?

E.M. Sailer: Man braucht eine gute Portion kaufmännisches Geschick und die Fähigkeit, seinen Kunden im vereinbarten Rahmen zu führen. Wenn 10 Gesprächstermine vereinbart sind und daraus – ohne Absprache – 20 werden, kann die Rechnung für den Dienstleister – und genau das ist ein Biograf auch – nicht aufgehen.

Schule des Schreibens: Die Preisgestaltung scheint ein Problem in der Branche zu sein, sowohl für Dienstleister als auch für Kunden. Nach einer Recherche des Konstanzer Biografen Matthias Brömmelhaus liegen die Preise für Privatbiografien von rund 150 Seiten zwischen 2.400 und 11.900 Euro. Die von ihm ermittelten Stundensätze liegen zwischen 35 und 85 Euro – keine astronomischen Summen, aber eine beträchtliche Spannweite. – Es gibt einen Fall, in dem ein Kunde vor Gericht zog, weil er mit Kosten von ca. 15.000 Euro gerechnet hatte, sich die Gesamtkosten für die Biografie aber auf ca. 40.000 Euro zu summieren drohten und ein Ende nicht abzusehen war … Langer Rede kurzer Sinn: Sind die Leistungen, die ein Biograf erbringt, so schwer einzuschätzen? Wie bekommt der Kunde Transparenz und Preissicherheit? Und was kostet eine Biografie bei Ihnen?

E.M. Sailer: In der Tat sind die Kosten nicht immer einfach einzuschätzen. Aber das darf nicht das Problem des Kunden werden. Ich arbeite immer mit einer Mischkalkulation und Pauschalsätzen auf Seitenbasis, wo ich meine Arbeitsleistung genau aufschlüssele bzw. auch das, was nicht im Preis enthalten ist. Ich weiß aus Erfahrung, wie lange ich für 100 Seiten brauche. Für das Sammeln, Sortieren, Organisieren – für das Schreiben und Gestalten. Auf Basis der vereinbarten Buchform erhält der Kunde von mir einen Seitenpreis. Je höher die Seitenzahl, desto niedriger der Seitenpreis. Was eine Biografie bei mir kostet kann ich Ihnen nicht sagen, weil es so viele verschiedene Varianten gibt. Aber seriös ist bei 100 Seiten ein Richtwert von € 20.000,- für Text, Organisation, Satz/Gestaltung, Druck und Buchbindung bei einer Auflage von ca. 20 Stück.

Schule des Schreibens: Schon klar, dass Sie keine Namen nennen, denn Diskretion ist das A und O in diesem Geschäft. – Aber wer sind Ihre Kunden?

E.M. Sailer: Meine Kunden sind ganz unterschiedliche Typen: zum Beispiel der schillernde Geschäftsmann, der bescheidene Ex-Buchhalter, aber auch der Reeder, der seiner Frau eine Biografie zum Geburtstag schenkt.

Schule des Schreibens: Was macht Ihnen bei Ihrer Arbeit am meisten Freude?

E.M. Sailer: Das fertige Buch.

Schule des Schreibens: Frau Sailer, wann schreiben Sie Ihre Autobiografie?

E.M. Sailer: Diese Frage sollten Sie mir in zwanzig Jahren wieder stellen. Heute kann ich mir nicht vorstellen, über mich selbst zu schreiben. Vielleicht, wenn ich irgendwann verwitwet sein sollte. Vorher muss ich noch eine ganze Menge leben und lieben.

Schule des Schreibens: Frau Sailer, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Das Interview führte Doris Würfel für die Schule des Schreibens.

 

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